Montag, 12. Dezember 2011

Die Rückeroberung der Ostgebiete beginnt

Wenn es nach der schwarz-gelben sächsischen Regierungskoalition geht, steht uns eine Wiedereingliederung der verloren geglaubten Landstriche im Osten unmittelbar bevor. Vorweg: Nein, natürlich nicht der deutschen. Pommern und Schlesien bleiben schön da, wo sie sind. Vielmehr sorgte das Kabinett Tillich für verwundertes Staunen in der Lausitz, als es aus heiterem Himmel vorschlug, den gesamten Landkreis Görlitz zum "Heimatkreis" der Sorben zu erklären. Von der Struga bis an die Mandau, oder so.

Nun ja, so ganz unerwartet kam das Manöver nicht, schließlich geht es eigentlich darum, ein Lieblingsprojekt der Regierung, nämlich die offenbar überfällige Strukturreform in der sächsischen Gerichtslandschaft, durchzusetzen. Eine angedachte Maßnahme im Zuge dessen sollte die Herabstufung des Bautzener Landgerichtes zu einer Görlitzer Außenstelle werden. Stadt, Landkreis und natürlich die Richter selbst waren empört ob dieser bevorstehenden Degradierung und zogen nach kurzer Bedenkzeit die Sorbenkarte aus dem Hut. Laut Sächsischem Sorbengesetz § 9 ist es im sorbischen Siedlungsgebiet - also z.B. in Bautzen - nämlich möglich, sich "vor Gerichten [...] der sorbischen Sprache zu bedienen", und zwar ohne, dass "Kostenbelastungen oder sonstige Nachteile" für den Bürger entstehen. Außerhalb des offiziellen Siedlungsgebietes - also z.B. in Görlitz - geht das in dieser Form nicht. Landgerichtspräsident Konrad Gatz wies dementsprechend darauf hin, dass das Recht der Sorben, vor Gericht Sorbisch zu sprechen, in Gefahr sei. Eine Einschränkung dieses Rechts - das selten genutzt wird, aber prinzipiell dennoch wichtig ist - sei unzulässig.

Das sorbische Siedlungsgebiet - bis jetzt (NordNordWest/Wikipedia, CC-BY-SA-3.0-DE)

Nachdem der Sturm der Entrüstung in den letzten Wochen etwas abgeflaut war, präsentierte nun der FDP-Landtagsabgeordnete, Sprecher für sorbische Angelegenheiten seiner Fraktion und Bautzener Stadtrat Mike Hauschild die simple Lösung, auf die zuvor aus unerfindlichen Gründen keiner gekommen war: Die Wiedereingliederung des Landkreises Görlitz in sorbisches Territorium. Oder, etwas weniger pathetisch formuliert, die Umwidmung des Landkreises Görlitz zu einem "sorbischen Heimatkreis", in welchem dann das Sächsische Sorbengesetz nebst allen Rechten und Pflichten Anwendung finden würde.

Natürlich gibt es im Norden des betroffenen Kreises bis heute Gemeinden, in denen das Sorbische mehr oder minder lebendig ist, unter anderem Schleife und Trebendorf. Und selbstverständlich liegen weiter südlich Dörfer, die noch vor 100 Jahren mehrheitlich sorbisch bewohnt waren, z.B. Krischa (seit 1936 Buchholz) in der Gemeinde Vierkirchen oder Großdehsa, Laucha und Nechen bei Löbau. Aber gleich der gesamte Landkreis? Bis nach Zittau? Das trägt zwar einen slawischen Namen, aber Sorbisch wird dort doch seit Jahrhunderten nicht mehr gesprochen. Nun gut, warum eigentlich nicht? Dann aber bitte gleich richtig! Mit zweisprachiger Beschilderung, sorbischen Kindergärten und Schulen, sorbischen Beamten in den Rathäusern und dem ganzen Drumherum, das schon bei uns so reibungslos funktioniert. Wegkreuze gibt's selbstverständlich gratis dazu. Wer die Gegend ein wenig kennt, kann sich in etwa vorstellen, wie groß die Begeisterung in Eibau, Niedercunnersdorf und Hirschfelde wäre. Was haben sich CDU und FDP da nur eingebrockt?

Hirngespinst oder bald schon Realität?

Vielleicht sollte sich die schwarz-gelbe Landesregierung unter "unserem" Ministerpräsidenten lieber um die Verwirklichung dessen kümmern, was schon jetzt im Sächsischen Sorbengesetz steht, nämlich z.B. um das "Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer angestammten Heimat" (§ 2, Absatz 3), welches meines Erachtens durch das klare Bekenntnis des Ministerpräsidenten zur Zukunft der Braunkohle und damit zur Abbaggerung der noch einigermaßen sorbischen Dörfer Rohne, Mulkwitz und Mühlrose mit Füßen getreten wird. Oder aber um Paragraf 10, der die zweisprachige Beschilderung fordert, die in den Randgebieten, gerade auch im Landkreis Görlitz, an vielen Ecken komplett fehlt. Oder auch um Paragraf 14, der eine "angemessene Berücksichtigung" der sorbischen Sprache und Kultur durch sorbischsprachige Sendungen und Beiträge in den Medien verlangt, die durch 25 Minuten im Monat kaum erfüllt sein dürfte. Und so weiter.

Solange noch nicht einmal das realisiert ist, was vor fast 20 Jahren gesetzlich verankert wurde, solange der "sorbische Ministerpräsident" die Heimat Vattenfall in die Baggerschaufel wirft, pfeife ich auf einen "Heimatkreis", der nichts weiter ist, als ein verzweifeltes Manöver zur Rettung einer undurchdachten Strukturreform.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Wem gehört unser Geld? Über Förderer und Bettler.

Im Umfeld der hitzigen Diskussionen um die Zukunft einiger sorbischer Institutionen schlich sich in den letzten beiden Wochen ein Element in die Berichterstattung ein, das dort vollkommen fehl am Platz ist. Wer genau hinschaute, konnte erkennen, dass die Diskussion mittlerweile auch wieder mit "ethnischen Argumenten" geführt wird. Dass sich am berüchtigten deutschen Stammtisch mehr oder weniger seit 1949 beschwert wird, "die Sorben" bekämen zu viel staatliche Förderung, oder das diese gleich komplett in Frage gestellt wird, ist nichts Neues. Das dieser Subtext nun auch in der öffentlichen Berichterstattung - auf deutscher und sorbischer Seite - auftaucht, dagegen schon.

Konkret geht es hier zum Einen um ein Interview mit dem Intendanten des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, Lutz Hillmann, im Oberlausitzer Kurier. Das Theater wird - so der Beschluss der Stiftung für das sorbische Volk - ab 2013 200.000 Euro weniger pro Jahr erhalten. Unabhängig davon, ob dieser heftige Einschnitt verträglich oder gerechtfertigt ist, nimmt der Artikel gegen Ende eine seltsame Wendung. Zunächst wird FDP-Mann Reiner Deutschmann zitiert, der meint, "die Mittel von Bund, Freistaat Sachsen und Brandenburg würden nicht fürs "Verwalten" bereitgestellt". Dagegen kann man schlecht etwas einwenden. Der Artikel endet mit der Feststellung Hillmanns, man dürfe nicht vergessen, "dass es sich hier um Geld aus deutschen Steuermitteln handelt." Was will er uns damit sagen? Was soll hier der Hinweis, es handele sich um "deutsche" Steuermittel? Will man hier so tun, als würde das Theater von "den Sorben" kaputtgespart? Das Problem ist wohl kaum die Herkunft der Mittel, sondern deren Höhe und die Art ihrer Verteilung. Darauf kommen wir später noch einmal zurück.


Zum anderen war ich ziemlich überrascht über einen Kommentar von Serbske-Nowiny-Chefredakteur Janek Wowčer, der in der deutschsprachigen Dezember-Ausgabe der Zeitung erschien und sich auf die Lage im Sorbischen National-Ensemble bezog. Dass diese alles andere als perfekt ist, sollte mittlerweile klar sein. Auf der Schadźowanka sprach man vor drei Wochen schon vom SNE, "unserem sorbischen Griechenland". Seltsam mutet jedoch Wowčers Schlussbemerkung an: "Dass jetzt manch einer den Sorben den Geldhahn am liebsten sogar zudrehen würde, kann ich verstehen. Denn: Statt das Geld vernünftig in die Zukunft unseres Volkes zu investieren, verbraten wir es lieber wegen "dilettantischer" Fehler und Unwissen vor Gerichten." Bei allem Respekt und Verständnis: Diese Logik ist keine, die Stoßrichtung die falsche und die Schlussfolgerung gefährlich.

Offenbar diskutieren wir also auch über die Frage, wessen Geld es eigentlich ist, welches "wir" hier "verbraten". In beiden Artikeln bekommt man den Eindruck, es handele sich um Almosen vom "Staat" bzw. von "den Deutschen". Da ist die Rede von "deutschen Steuermitteln" und dem "Zudrehen des Geldhahns". Das ist in der Endkonsequenz auch nichts anderes, als der eingangs beschworene deutsche Stammtisch palavert. Meine Herren, es ist unser Geld, welches hier verbraten wird. Nicht nur, dass es dem sorbischen Volk aufgrund von Landes- und Bundesgesetzen zusteht, nein, es kommt auch direkt von uns. Die Stiftung finanziert sich aus staatlichen Mitteln, die wiederum aus Steuereinnahmen resultieren. Und zwar aus deutschen und sorbischen. Schließlich zahlt "der Sorbe" ebenso Steuern wie "der Deutsche". Dass das manche nicht begreifen wollen, scheint mir ein Grund für den schrägen Verlauf der Debatte zu sein.

Was also ist das Grundproblem? Erstens die unzureichende Höhe der Zuwendungen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Stiftung momentan 16,8 Millionen Euro pro Jahr erhält, so sind das zunächst einmal 3,7 Millionen weniger als zur Gründung der Stiftung im Jahre 1991, worauf Detlef Kobjela erst kürzlich dankenswerterweise einmal wieder hinwies. Was ist der Grund für die Senkung des Gesamtbudgets? Wohl kaum die Annahme, dass es ja ohnehin von Jahr zu Jahr immer weniger Sorben gebe, oder? Die Mittel wurden also um fast 20 Prozent gekürzt, einige Institutionen mussten schon kurz nach der Wende geschlossen werden (bspw. die Zentralen Sprachschulen), andere verloren einen großen Teil ihrer Belegschaft. Doch damit hatte das Kaputtsparen der sorbischen Institutionenlandschaft noch lange kein Ende, wie wir momentan wieder sehen. Dieses Mal sind das Sorbische Institut und eben das Theater an der Reihe.

Fakt ist: Das durchschnittliche Steueraufkommen pro Kopf lag in Deutschland 2010 bei etwa 6476 Euro. Der durchschnittliche Betrag, den die Stiftung für das sorbische Volk pro Kopf erhält, liegt bei 280 Euro. Davon unterstützt sie dann also das einzige wissenschaftliche Forschungsinstitut, den einzigen Verlag inklusive aller einzigartiger Medien, das einzige professionelle Ensemble, das einzige professionelle Theater, das existenzsichernde Witaj-Projekt, die beiden Museen und - so nebenbei - auch noch Jugendarbeit, Großveranstaltungen wie das Folklorefestival, Projektarbeit usw. Auch wenn man natürlich kaum behaupten kann, Sorben würden nur sorbische Angebote nutzen und selbst, wenn man bedenkt, dass z.B. die gesamte Infrastruktur - Straßen, Schulen, Krankenhäuser etc. - ja quasi "unethnisch" ist, sind 280 Euro pro Kopf wohl kaum zu viel. Vor allem, wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt eben auch jeder Sorbe seine 6476 Euro pro Jahr an das Staatswesen abführt. Richtig gerechnet zahlen also "die Deutschen" überhaupt nichts für sorbische Sprach- und Kulturpflege, und selbst "die Sorben" selbst nur lächerliche 4,3 Prozent ihrer Steuerausgaben (280/6476). Dabei unterstelle ich selbstverständlich, dass "den Sorben" z.B. der Fortbestand des deutschen Auslandsrundfunks (Deutsche Welle, 273,6 Mio. €/Jahr) oder die "Förderung kultureller Maßnahmen gemäß Bundesvertriebenengesetz" (14,6 Mio.) relativ egal ist. Wichtiger als deutscher Auslandsfunk wäre uns vielleicht endlich einmal ein eigener Radiosender. Soviel zum Mythos, "wir" bekämen zu viel Geld. Tatsächlich wendet der deutsche Staat pro Jahr ungefähr soviel für die gesamte sorbische Institutionenlandschaft auf, wie er für das Jüdische Museum in Berlin alleine ausgibt. Und das heißt nicht etwa, dass das JMB zu viel erhält.

Dieses unzureichende Geld muss nun verteilt werden. Da liegt das zweite grundlegende Problem: Verteilt wird es durch eine Stiftung, deren Stiftungsrat aus 15 Mitgliedern besteht, darunter allerdings gerade einmal sechs Sorben. Das bedeutet ganz einfach auf den Punkt gebracht, dass das sorbische Volk seine eigenen Finanzmittel, von denen ihm der deutsche Staat zu wenig "zugesteht", noch nicht einmal selbst verwalten darf. Das ist eine zweifellos interessante Form von "Minderheitenförderung" und ein krasser Fall von Bevormundung. Wir müssen also festhalten, dass im Zweifelsfall (z.B. bei anstehenden Kürzungen) zwar "die Sorben" schuld sind, de facto aber Deutsche entscheiden, wohin wenig Geld fließt und wohin keins. Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass die sorbischen Ratsmitglieder teilweise befangen sind, was zumindest für Domowina-Geschäftsführer Bjarnat Cyž und SNE-Intendantin Milena Vettraino gelten dürfte. Grundlegende Entscheidungen sind in der heutigen Situation quasi nicht mehr möglich, wie wir erst bei der letzten Stiftungsratssitzung eindrucksvoll sehen konnten. Unterfinanziert und handlungsunfähig. Bravo.

Was ist also zu tun? Auch, wenn das mittlerweile schon allzu oft gesagt wurde: Meines Erachtens kann die Lösung nur in der Schaffung einer demokratisch gewählten sorbischen Volksvertretung liegen, die sowohl für die Verteilung der Mittel als auch für die Repräsentanz des sorbischen Volkes nach außen hin zuständig sein müsste. Vier ganz einfache Gründe dafür: 1. Die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, stammen aus sorbischen Steuereinnahmen, sind also quasi "demokratisch akquiriert" und müssen daher auch demokratisch verteilt werden. 2. Die demokratische Konstruktion würde die Einbeziehung und Anteilnahme des gesamten sorbischen Volkes garantieren und den Effekt von persönlichen Befangenheiten und Abhängigkeiten deutlich schwächen. Gleichzeitig wären auch die Entscheidungen jene des sorbischen Volkes, welches dann in seiner Gesamtheit dafür verantwortlich wäre. 3. Das sorbische Volk dürfte damit erstmals selbst über die ihm zustehenden Gelder verfügen. 4. Die Legitimität, die ein demokratisch gewähltes Parlament nach innen und außen hätte, wäre deutlich größer, so dass auch der ausübbare Einfluss (z.B. beim nächsten zu erwartenden Streit über ein neues Finanzierungsabkommen) wachsen würde. Ein Parlament lässt sich schwerer ignorieren als ein eingetragener Verein.

Die Etablierung demokratischer Strukturen im Sorbenland ist eine große Aufgabe, die sicherlich noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird. Es gibt allerdings ein paar einfachere Dinge, die wir schon jetzt erledigen können: Legen wir endlich den antrainierten Bettler-Komplex ab und fordern selbstbewusst die Kontrolle über unsere eigenen Gelder! Hören wir auf damit, Verständnis für jene zu zeigen, die uns diese Gelder kürzen oder gar vorenthalten wollen! Und gehen wir doch einfach mal wieder demonstrieren!

Freitag, 2. Dezember 2011

Europeada 2012: Die Würfel sind gefallen.

Am gestrigen Donnerstag wurden in Berlin die Vorrundengruppen für die Europeada 2012 - die Fußballeuropameisterschaft der Minderheiten - ausgelost. Die Sorben treffen demnach in Gruppe A auf die Deutsche Minderheit aus Polen, die Kärntner Slowenen und eine Minderheitenauswahl aus Estland. Die Lizenz zum Durchmarsch ins Finale sieht definitiv anders aus.

Die weitere Gruppenaufstellung:

Gruppe B: Roma aus Ungarn, Deutsche aus Russland, Rätoromanen, Slowaken aus Ungarn
Gruppe C: Kroaten aus Serbien, Türken aus Westthrakien, Ladiner, Nordfriesen
Gruppe D: Südtiroler, Ungarndeutsche, Karatschaier, Deutsche aus Dänemark
Gruppe E: Dänen aus Deutschland, Zimbrer, Waliser, Okzitaner