Donnerstag, 31. Mai 2012

Warum nicht auf Sorbisch?

Im Laufe der letzten Woche beklebten bisher unbekannte Aktivisten - womöglich beeinflusst durch ähnliche Aktionen in Wales, über die u.a. hier berichtet wurde - zahlreiche einsprachige Wegweiser und sonstige Schilder in und um Bautzen mit der Frage "A serbsce? Und auf sorbisch?". Die roten Aufkleber machten dabei auf den inakzeptablen Zustand der zweisprachigen Beschilderung in Bautzen aufmerksam. Bisher wird in der "sorbischen Hauptstadt" nämlich - abgesehen von einigen Orten in der näheren Umgebung und dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater - fast nichts zweisprachig ausgeschildert. Das jedoch steht, wie heute auch in der Sächsischen Zeitung betont wurde, klar im Widerspruch zum Sächsischen Sorbengesetz (siehe unten) und auch zum Eigenanspruch der Stadt Bautzen, "Hauptstadt der Sorben" sein zu wollen.

Sorbische Medien - Rundfunk, Zeitung und Blogger - nahmen die Aktion zunächst mit Wohlwollen auf; auch Domowina-Vorsitzender Dawid Statnik äußerte sich in einem Telefoninterview unterstützend. Mit Genugtuung wurde auch registriert, dass die vom Ordnungsamt Bautzen zwischenzeitlich ohne Kommentar entfernten Aufkleber in der Westvorstadt "über Nacht zurückkehrten". Einer, der in solchen Fällen seine Stimme erheben sollte, tat dies schließlich auch und sorgte am Wochenende für das erste Auftauchen der Aufkleber-Aktion in der deutschen Presse.

 Zweisprachige Beschilderung...
...sucht man (nicht nur) in Bautzen leider oft vergeblich.

Gerade der "Beauftragte für sorbische Angelegenheiten" (!) des Landkreises Bautzen - Benedikt Cyž - verurteilte in einer Pressemitteilung die Aktion aufs Schärfste, unter Bezugnahme auf hanebüchene Argumente ("Verkehrssicherheit") und in einer völligen Ignoranz des Fakts, dass der Großteil der öffentlichen Schilder im sorbischen Siedlungsgebiet rechtswidrig einsprachig sind. Stattdessen beklagte er eine angebliche Gefährdung seines eigenen Projektes der längst überfälligen "Fehlerkorrektur" auf bereits jetzt zweisprachigen Schildern. Worin der Zusammenhang zwischen beiden Problemen besteht, erläuterte er dagegen nicht. Mit seiner Mitteilung stellte Cyž unglücklicherweise auch die Absurdität seiner Aufgabe im Landratsamt unter Beweis. Er ist sicher nicht zu beneiden um eine Anstellung, die ihn zwar verpflichtet, sich um sorbische Bedürfnisse zu kümmern, ihn andererseits aber auch in die engen Verwaltungsvorschriften seines Arbeitgebers zwängt. Dennoch war so mancher vor allem über den scharfen - stellenweise beinahe beleidigten - Ton der Mitteilung erschrocken:
"Leider gibt es Mitmenschen, die sich im Verborgenen mit dem Aufkleber „a serbsce – und sorbisch?“, angebracht an verschiedenen öffentlich zugänglichen Stellen und Informationspunkten, in Szene setzen wollen [...] ." - Im Verborgenen in Szene setzen? Wie stellt er sich das vor? Nun gut...
Nach einem Aufruf, die "sinnlosen Klebeaktionen" zu unterlassen, forderte Cyž schließlich sogar die Bautzener Bürger dazu auf, nächtliche Schilderstürmer künftig zu denunzieren:
"Neben der bereits erfolgten polizeilichen Anzeige gegen Unbekannt bitte ich alle Bürger
um ihre Mithilfe, damit diese Art von Sachbeschädigung und Eingriff in die Verkehrssicherheit zukünftig unterbleibt."
Ob dieser Appell im Sinne der sorbischen Mitbürger ist, die Benedikt Cyž zu vertreten hat, ist wohl zweifelhaft. Der sorbische Blogger Piwarc fordert jedenfalls schon - nicht unbedingt zu Unrecht - den Rücktritt von Cyž, der seine Aufgaben als Sorbenbeauftragter offenbar zugunsten der Belange des Straßenbauamtes zu vernachlässigen beginnt. Dass Cyž in Anbetracht seiner Aufgabe einen inakzeptablen und rechtswidrigen Zustand auf Bautzener Straßen verteidigt, ist nicht nur peinlich, sondern auch bedenklich. Zur rechtlichen Absicherung der anonymen Aktivisten, gegen die der Landkreis nun offensichtlich Anzeige erstattet hat, sei hier noch einmal das Sächsische Sorbengesetz, Paragraph 10 zitiert:
"Die Beschilderung im öffentlichen Raum durch die Behörden des Freistaates Sachsen und die seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, insbesondere an öffentlichen Gebäuden, Einrichtungen, Straßen, Wegen, öffentlichen Plätzen und Brücken, soll im sorbischen Siedlungsgebiet in deutscher und sorbischer Sprache erfolgen."
Mit anderen Worten ist die Aufkleber-Aktion im Sinne des sächsischen Gesetzes prinzipiell gerechtfertigt. Völlig unbeeindruckt davon der Sorbenbeauftragte des Landkreises in seiner Pressemitteilung u.a.:
"Zu beachten ist dabei, dass Orte, die außerhalb des sorbischen Siedlungsgebietes liegen, nicht zweisprachig beschriftet werden."
Aus welchem Grund sollte das "zu beachten sein", wo doch das Sorbengesetz kein Wort über eine solche Einschränkung verliert? Wer sagt das überhaupt? Eine Verwaltungsvorschrift, die älter ist als das Sächsische Sorbengesetz, gegen dessen Intention verstößt und daher schon vor 20 Jahren hätte angepasst werden müssen? Anstatt stur auf der Deutungshoheit seiner Behörde zu beharren, sollte sich Herr Cyž lieber Gedanken machen, warum das Landratsamt Bautzen aufgrund einer veralteten Verwaltungsentscheidung seit Jahren gegen geltendes sächsisches Recht verstößt und was er persönlich dagegen unternehmen könnte. Das gleiche gilt im Übrigen für die Stadt Bautzen, die sich mit ihrer ersten Reaktion auf die Aktion - der Benennung des Bußgeldes für "Ordnungswidrigkeiten" dieser Art - sicherlich keine Freunde gemacht hat.

Ohnehin ist es irritierend, dass den betroffenen Behörden keine bessere Antwort auf eine offenbar berechtigte Kritik an illegaler Einsprachigkeit einfällt, als das Drohen mit Bußgeldern und Anzeigen aufgrund von "Sachbeschädigung" und "Einschränkung der Verkehrssicherheit". Selbstverständlich kann man es sich als Verwaltung prinzipiell nicht bieten lassen, dass Unbekannte einfach so Stadt- oder Kreiseigentum bekleben. Ein wenig Selbstreflexion darf man doch aber wohl auch von Behörden erwarten, oder nicht? Und vor allem die Einhaltung und konsequente Durchsetzung geltenden sächsischen Rechts!

Mittwoch, 30. Mai 2012

Vettraino: Wirbt für Vielsprachigkeit

Anlässlich des Pfingstfestes sprach MDR Figaro mit verschiedenen Leuten über Vielsprachigkeit und ihre Vorzüge, unter anderem mit der Intendantin des Sorbischen Nationalensembles, Milena Vettraino. Die Features finden sich hier zum Nachhören.

Samstag, 26. Mai 2012

Balkanische Südsorben, Lausitzer Nordserben?

Häufig, wenn Sorben und Serben aufeinandertreffen, liegt die (zugegeben einleuchtende) Frage in der Luft, was denn nun beide miteinander zu tun hätten. Vor allem im serbisch-nationalistischen Spektrum beschäftigt man sich erstaunlich häufig mit den "Brüdern im Norden" oder den "Nordserben", wie man uns zwischen Belgrad und Niš gerne nennt. Die korrekte Bezeichnung ist im Serbischen (Kroatischen, Bosnischen, Montenegrinischen) übrigens "Lužički Srbi", also eben "Lausitzer Serben". Diese Form war bis ins 20. Jahrhundert hinein auch in deutschen Veröffentlichungen anzutreffen und sie hat einige Berechtigung, nennen die Sorben sich selbst doch "Serbja" und nicht etwa "Sorbja". Das "o" zwischen S und R wird von Einigen dann schnell mal als perfide deutsche Erfindung abgetan, um die serbischen Brüder in der Lausitz und auf dem Balkan auseinanderzubringen. Sind die Sorben also letztendlich nur Nordserben? Nicht ganz.

Im Sorbischen bezeichnet man jene Serben auf dem Balkan als "Južni Serbja", also "Südsorben". Es mag zunächst befremdlich klingen, aber eigentlich liegt man damit ganz richtig. Als die balkanischen Serben nämlich im frühen 9. Jahrhundert erstmals erwähnt wurden, hieß es "Sorabos, quae natio magnam Dalmatiae partem obtinere dicitur", also "Soraben, die den größten Teil Dalmatiens besiedeln", mit O. Das ist das gleiche O, mit dem verschiedene Chronisten die an Saale und Elbe siedelnden slawischen Völker, also die Vorfahren der heutigen Sorben, bezeichneten. Mit Fug und Recht könnte man also behaupten, die heutigen Serben seien "eigentlich" Südsorben.

Doch wie kommt es überhaupt, dass zwei so weit voneinander entfernte Völker beinahe den gleichen Namen tragen? Dazu gibt es mehrere Theorien, wobei die anerkannteste und glaubwürdigste jene ist: Im 6. und 7. Jahrhundert besiedelten slawische Stämme, aus Osten kommend, den Raum des heutigen Ostdeutschlands und gerieten an den Oberläufen von Saale und Main spätestens Mitte des 7. Jahrhunderts in blutige Konflikte mit den dort ansässigen Franken. Daher rühren auch die ersten urkundlichen Erwähnungen, die wir aus fränkischen Chroniken kennen. Eine gewisse Bekanntheit unter den Franken errang u.a. der sorbische Fürst Derwan. 

Vermutlich aufgrund der immer unruhigeren Lage im sorbisch-fränkischen Grenzgebiet verließ ein größerer Stammesverband in dieser Zeit die Gegend und wanderte in Richtung Süden. Dort - genauer in Dalmatien, vermutlich auch in den angrenzenden Gebieten - müssen sie im Jahr 822 (dem Jahr der Ersterwähnung auf dem Balkan) schon ziemlich verbreitet gewesen sein, wie wir oben gelesen haben. Aufgrund dieser dunklen Vorgeschichte, aus der nur wenige verlässliche Fakten gesichert sind, bezeichnete man spätestens seit dem 19. Jahrhundert die Lausitz als "Weißserbien", also als mythische Urheimat des serbischen Volkes. Das erklärt auch die Begeisterung vor allem in nationalistischen Kreisen.

So oder so ähnlich wirds wohl gewesen sein. Nur muss es natürlich "The Sorbs" heißen. (Grafik: Nexm0d, Wikimedia Commons, Public Domain)

Nun werden die Sorben, die bis heute die Lausitz bewohnen, von ethnonationalistischen Serben gerne als letzte Bastion ihres Volkes im Norden gesehen. Da wird dann schon einmal eine bewaffnete Befreiungsbewegung herbeifantasiert, die die Unabhängigkeit der Lausitz erkämpft. Dass Sorben und Serben zwei Völker mit zwei (eigentlich sogar drei) Sprachen sein sollen, kann gar nicht sein, schließlich sei man doch vor 1400 Jahren gemeinsam gekommen! Das mag wohl sein, dennoch greift (nicht nur) hier wieder einmal der große Irrtum des Ethnonationalismus: Völker im heutigen Sinne gab es im 7. Jahrhundert erstens noch nicht, zweitens beruhen ethnische Gruppen eben nicht hauptsächlich auf Abstammung, sondern meist auf gemeinsamer Sprache und immer auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe. Anders gesagt: Wenn die Sorben gerne ein eigenes Volk sein wollen, dann sind sie auch eins!

Wann ist nun das rätselhafte "O" im Namen der Sorben aufgetaucht, wenn sie sich doch selbst als Serbja und serbski bezeichnen? Nach allem, was mir bekannt ist, gab es spätestens im 17. Jahrhundert (deutsche) Schriften, die von den "Sorberwenden" in der Lausitz schrieben. In Anbetracht der Menge an Quellen aus dem 9. und 10. Jahrhundert, die diese Schreibweise etablierten, scheint es wahrscheinlich, dass man sich bei der Wahl der deutschen Bezeichnung an der älteren lateinischen orientierte. Eine Erfindung großdeutscher Nationalisten, die das serbische Volk und seinen Namen in der Lausitz ausrotten wollten, ist sie jedenfalls nicht. Und ganz nebenbei: Wo ist bitte das "E" bei den Srbi? Na bitte.