Mittwoch, 13. Mai 2015


16.05.15 // 20h // Kamjentny dom (Steinhaus) Budyšin // Zastup: 10/7 eurow

Samstag, 28. März 2015

Das Tausendjährige Miteinander

Anmerkung: Nachfolgender Text ist undifferenziert und polemisch. Wie immer ist die ganze Geschichte deutlich facettenreicher als hier dargestellt. Die Zuspitzung dient hier einzig und allein der Entlarvung einer sinnentleerten Phrase.

Schon seit Monaten wird nun auch in deutschen Medien über mutmaßlich rechtsextrem motivierte Angriffe gegenüber Sorben berichtet, die im Jahr 2014 mit der physischen Bedrohung sorbischer Jugendlicher auf sorbischen Dörfern – also zuhause – eine gewisse neue Dimension erhielt. Pünktlich zur Hauptversammlung der Domowina widmet sich die FAZ noch einmal demselben Thema. Der Anlass ist wohl, dass erste Verdächtige gefasst wurden. Was ja ein gutes Zeichen wäre. Dazu gibt es ein paar O-Töne von Diana Pawlikowa, Jan Nuk, David Statnik, Alfons Ryćer und Stanisław Tillich. Wobei mir nicht einleuchtet, was letzterer mit sorbischer Politik zu tun haben soll (sh. Vattenfall), aber das spielt hier keine Rolle.

Obwohl der Worte über 15 Trottel, die aus Blödheit und Langeweile auf die Idee kamen, Sorben klatschen zu fahren, eigentlich genug gewechselt waren, hält der Artikel noch ein paar interessante Anmerkungen bereit. So betont Diana Pawlikowa, dass die Leute in Panschwitz sich eigentlich zuvorderst als Panschwitzer sehen, und dann vielleicht als Sorben bzw. Deutsche. Ein sympathischer Gedanke, der einem aus dem ehemaligen Jugoslawien bekannt vorkommt. Alfons Ryćer meint: „Wenn ich mich am Telefon auf Sorbisch melde, fällt schon mal der Satz: ‚Wir sind doch hier in Deutschland!‘“ Warum der "Jugendfreund von Tillich" (so im Artikel) dann unlängst ausgerechnet der AfD beitreten musste, also einer Partei, die gemeinhin besonderen Wert darauf legt, dass "wir hier in Deutschland" seien, bleibt wohl sein Geheimnis. David Statnik betont, dass die Lausitz ein "gemeinsamer Schicksalsraum" von Sorben und Deutschen sei, den man auch gemeinsam schützen müsse und kommt damit der Herausforderung dieser Zeit, nämlich zu verbinden statt zu trennen, ziemlich nahe.

Den Vogel abgeschossen hat allerdings Stanisław Tillich, der einmal mehr die Sonntagsphrase vom vorgeblichen "1000-jährigen friedlichen Miteinander" von Sorben und Deutschen ins Feld führt. Abgesehen davon, dass tausend Jahre in Deutschland – wie auch in diesem Fall – bekanntlich sehr kurz sein können, trägt diese leider vielbenutzte Wendung kaum dazu bei, das Problem zu verstehen. Wer nach dem "friedlichen Miteinander" googelt, wird feststellen, dass von ihm meist die Rede ist, wenn es entweder nicht existiert oder zumindest arg bedroht ist. Ob zweiteres in der Lausitz der Fall ist, kann man diskutieren, mich interessiert aber ersteres.

Was Tillich – und jeder andere, der dieses rhetorische Muster bemüht – in seiner Sonntagsrede (bewusst?) unterschlägt, ist zum Ersten, dass es "Deutsche" im Sinne von ethnisch und/oder sprachlich Deutschen in den meisten sorbischen Dörfern erst seit reichlich 100 Jahren gibt, von einem "Miteinander" vor dem 19. Jahrhundert also praktisch von vornherein keine Rede sein kann. Es bestand wohl auch keine grundsätzliche Feindschaft; vielmehr war es vermutlich so, dass die meisten Sorben einfach keine Deutschen kannten, mit einigen Ausnahmen natürlich: Gutsherr, in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Soldaten, gelegentlich Dorflehrer und später je nach Region Landvermesser oder Industrielle. Ersteren war der sorbische Bauer verpflichtet und musste ihnen dienen, die zweiteren musste er bei sich einquartieren, der Lehrer (oft genug auch selbst ein Sorbe) schlug seine Kinder mit dem Rohrstock, wenn sie die falsche Sprache benutzten und letztere gaben ihm zwar einen besseren Verdienst, baggerten dafür allerdings auch sein Dorf ab. Ob man das nach heutigen Maßstäben als "friedliches Miteinander" bezeichnen sollte, ist zumindest fraglich. In den meisten Fällen gab es einfach kein Miteinander, schon gar nicht "seit 1000 Jahren".

Soviel also zu den persönlichen Beziehungen, die zwischen "Sorben" und "Deutschen" (die sich unter diesen Namen auch noch nicht seit 1000 Jahren unterscheiden lassen) so bestanden. Interessanter ist aber noch ein zweiter Punkt: Dort, wo der sorbische Bauer noch am ehesten mit dem "Deutschen" in Kontakt kam, handelte es sich in der Regel um eine eher unpersönliche Beziehung zur deutsch(sprachig)en Obrigkeit, zum deutschen Staat. Schauen wir uns diese Beziehung etwas näher an, müssen wir allerdings feststellen, dass jenes "friedliche Miteinander" in den ersten 900 Jahren überwiegend aus Sprachverboten in Gerichten, Zünften, Schulen und Kirchen, aktiver Germanisierungspolitik und – zum dicken Ende hin – zeitweise handfester politischer Verfolgung durch verschiedene deutsche Staaten bestand. 

Beispiele für Sprachverbote kennen wir aus Leipzig, Altenburg und anderen früher sorbischen Gebieten bereits aus dem 14. Jahrhundert. Beispiele für einsprachig sorbische Dörfer, in denen auf Beschluss z.B. des Lübbener Konsistoriums der sorbische Gottesdienst durch deutschen ersetzt wurde, ebenfalls. Die Kinder, denen ihre Sprache vom Lehrer unter Einsatz der Prügelstrafe verboten wurde, fanden bereits Erwähnung. Weitere bedauerliche Einzelfälle finden sich u.a. bei Měrćin Wałda, der sich wiederum zu großen Teilen auf die Beschreibungen von Arnošt Muka (dort auf Sorbisch) aus den 1870er Jahren beruft. Lassen wir die unzähligen Bauernaufstände und die Tatsache, dass es tatsächlich slawische Stämme gab, die sich gegen ihre Einbeziehung in das Heilige Römische Reich wehrten, hier aus Zeitgründen einfach mal weg. Es ist auch so erkennbar, dass die Geschichte des "Tausendjährigen friedlichen Miteinanders" eine ziemlich asymmetrische ist, und wenn sie "friedlich" war, dann wohl oft nur, weil der Bauer keine Waffen hatte. Oder weil sich einfach keiner für die Sorben interessierte, da hinten in ihrer Lausitz.

Nun könnte man darüber natürlich reden. Gerade heute, seit ein paar Jahrzehnten, gibt es ja tatsächlich so etwas wie ein "Miteinander", manchmal sogar auf Augenhöhe. Man kann aber auch monatelang über 15 Nazitrottel reden. Letzteres ist einfacher. Klar ist, dass offensichtlich ethnisch motivierte Anfeindungen konsequent verfolgt und bestraft werden müssen. Aber die Frage, woher dieser Hass so "plötzlich" kommt, sollte doch naheliegen. Nicht, dass der am Ende etwas mit dem "Miteinander" zu tun hat? Nicht, dass Sorbenfeindlichkeit und genereller Hass gegen Leute, die anders sprechen, aussehen oder glauben, am Ende gut gehegte Traditionen sind, die es zu bekämpfen gilt? Man kann gegen solche Dinge angehen, auch wenn es mühsam ist und oft genug nicht zum Erfolg führen wird. Man kann sich aber auch zurücklehnen und vom "friedlichen Miteinander" schwafeln, das es niemals gab.


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