Mittwoch, 25. Januar 2012

Schiemann setzt Prioritäten

Marko Schiemann, CDU-Landtagsabgeordneter für Bautzen und Umgebung, stellte sich heute gegen das von der schwarz-gelben Regierungskoalition in Dresden geplante Standortgesetz. Nicht generell, aber zumindest in puncto Bautzener Landgericht geht es dem sorbischen Parlamentarier gegen den Strich.

Schiemann reichte laut BILD-Zeitung einen Änderungsantrag ein, gemäß dem das Landgericht in der Spreestadt eigenständig bleiben soll. Er begründete seine Ablehnung wie zuvor schon der Rat für sorbische Angelegenheiten und der Bautzener Landrat mit dem sächsischen Sorbengesetz, dass Verhandlungen in sorbischer Sprache grundsätzlich möglich macht, aber eben nur in den "Heimatkreisen" der Sorben.

Die Erklärung dafür, warum er den Landkreis Bautzen als "Heimatkreis" versteht, den Landkreis Görlitz mit seinen vierzehn zum offiziellen Siedlungsgebiet zählenden Gemeinden jedoch nicht, blieb Schiemann indes schuldig.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Mittellausitz retten - Vattenfall abbaggern!

Bis zum morgigen Freitag kann noch Jeder Widerspruch gegen die von Vattenfall beantragte Erweiterung des Tagebaus Nochten und damit gegen die Abbaggerung der Orte Rohne/Rowno und Mulkwitz/Mułkecy sowie die drohende Einkesselung von Mühlrose/Miłoraz einreichen.

Die Gemeinderäte der betroffenen Gemeinden Schleife und Trebendorf haben sich bereits gegen die Erweiterung ausgesprochen. In der gestrigen Ausgabe der Serbske Nowiny erklärte die Bürgermeisterin von Trebendorf, Kerstin Antonius: "Niemand von uns möchte seine Heimat und seinen Hof verlieren. Die Leute haben Angst und machen sich sorgen. Es geht um den Schutz unserer Natur und Umwelt." Die Ortsräte von Rohne und Mulkwitz wiesen darauf hin, dass die geplante Abbaggerung die sorbische Substanz gefährde und daher gegen das Sächsische Sorbengesetz verstoße.

Eine Musterstellungnahme gibt es hier. Man kann natürlich auch selbst eine verfassen. In jedem Fall müssen die Stellungnahmen bis morgen mittag beim Regionalen Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien, Käthe-Kollwitz-Straße 17, Haus 3, im Briefkasten landen.

Die nördlichen Ausbauten von Mulkwitz; Blick Richtung Rohne (Jörg Friebe, www.Lausitz-Bild.de; CC-BY-SA-3.0-DE)

Meine Stellungnahme lautet wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich wende mich grundsätzlich gegen den Planentwurf. Auf die Inanspruchnahme des Abbaufeldes 2 ist zu verzichten und das Vorranggebiet aufzuheben. Die ausgelegte Planung ist weder umwelt- noch sozialverträglich, preiswerte Energieversorgung kann auch ohne das Abbaugebiet 2 gesichert werden. Es besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse an diesem Plan. Auf den Abbau der Kohle hat Vattenfall keinen Anspruch, der Schutz von Bevölkerung und Klima ist aber zwingend zu gewährleisten.

Ich beziehe mich im Besonderen auf das Sächsische Sorbengesetz, Paragraph 2, Absatz 3, in dem es unmissverständlich heißt: „Das sorbische Volk und jeder Sorbe haben das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer angestammten Heimat und ihrer Identität.” Die sich im beantragten Abbaufeld 2 befindlichen Orte Mühlrose/Miłoraz, Mulkwitz/Mułkecy, Rohne/Rowno sowie der Ortsteil von Schleife/Slepo zählen zum sorbischen Siedlungsgebiet. Sie stellen als Orte im Schleifer Kirchspiel die nahezu einzigen verbliebenen Orte der mittleren Lausitz dar, in denen sorbische Sprache, Kultur und Identität noch lebendig ist. Das zeigt sich u.a. an der Existenz des Njepila-Hofes, der Sorbischen Heimatstube und des WITAJ-Kindergartens in Rohne, ferner an den einzigartigen Schleifer Bräuchen und Trachten, die in den genannten Orten gepflegt werden.

Mit der euphemistisch als “Inanspruchnahme” bezeichneten drohenden Vernichtung des 1513 erstmals erwähnten Heidedorfes Rohne und seines vermutlich im 12. Jahrhundert gegründeten Nachbarortes Mulkwitz sowie der geplanten Umkreisung und damit verbundenen Entsiedelung des 1536 erstmals erwähnten Mühlrose würde der Tagebau Nochten die jahrhundertealte Besiedlung dieser Gegend und ein Stück Mittellausitzer Kulturgeschichte endgültig beenden. Bereits jetzt hat der Tagebau Nochten das Kirchdorf Tzschelln, große Teile von Mühlrose und Nochten, den Weißwasseraner Tiergarten, das Pücklersche Jagdschloss, den Eichgarten, das Teichgebiet der Jäseritzen und große Heidegebiete unwiederbringlich vernichtet.

Der Braunkohletagebau hat in den letzten acht Jahrzehnten mehr als 70 Orte mit etwa 26.000 Einwohnern in der mittleren Lausitz devastiert, wobei in den meisten die sorbische Sprache noch lebendig war. Die Orte im Schleifer Kirchspiel sind mittlerweile das letzte verbliebene Verbindungsglied zwischen dem obersorbischen Sprachgebiet im Süden und dem niedersorbischen im Norden. Der Schleifer Dialekt unterscheidet sich von beiden Standardsprachen, ist als Mittellausitzer Dialekt mithin einzigartig und daher unbedingt schutzbedürftig.

Der Erhalt sorbischer Sprache und Kultur ist unbedingt an den Erhalt bestehender intakter Strukturen gebunden, zu denen neben der typischen Bausubstanz und gewachsenen Ortsstruktur der betreffenden Heidedörfer auch deren Umgebung gehört. In der Soziologie ist man sich einig, dass sogenannte “emotional landscapes” – also “emotionale Landschaften” – eine entscheidende Rolle bei Identitätsbestimmung und Heimatgefühl spielen. Dazu gehören neben dem Heimatdorf an sich auch scheinbare “Kleinigkeiten” wie die alte Linde an der Weggabelung, die Sandkippe in der Nähe des Ortes, die im Winter als Rodelberg benutzt wird oder der Badeteich im Wald. Diese Orte sind Schauplätze persönlicher Erinnerungen, Teil von Familien- und damit Orts- und Regionalgeschichte.

Die Abbaggerung von Ortschaften ist Heimatverlust in seiner extremsten Form. Sie ist absoluter als z.B. die kriegsbedingte Vertreibung oder der arbeitsbedingte Wegzug, weil der persönliche Bezugspunkt an sich – also der Heimatort – unwiederbringlich und vollständig vernichtet wird. Eine etwaige Rückkehr zu den eigenen Wurzeln wird für immer verunmöglicht. Eine planmäßig angelegte Ersatzsiedlung kann diesen Verlust nicht kompensieren, siehe z.B. Neu-Horno oder Neu-Haidemühl bei Spremberg. Eine emotionale Bindung ist in diesen künstlich geschaffenen Orten nicht mehr möglich. Mit dem Verlust der emotionalen Bindung an den Heimatort verschwindet aber auch das Heimatgefühl und ein Großteil der Identität, die für den Sprach- und Kulturerhalt so wesentlich ist.

Auch für die nicht direkt betroffenen, aber in unmittelbarer Tagebaunähe gelegenen Orte bedeutet die Erweiterung des Tagebaus Nochten zum Einen den Verlust eines großen Teils der persönlichen Umgebung und zum Anderen eine Staub-, Lärm- und Verkehrsbelastung über mehrere Jahrzehnte.

Die Erweiterung des Tagebaus Nochten ist auch aus energiepolitischer Sicht nicht zu vertreten. Der Tagebau Reichwalde und das bisher in Anspruch genommene Abbaugebiet Nochten reichen für einen planmäßigen Weiterbetrieb des Kraftwerkes Boxberg aus, und zwar bis in eine Zeit, in der die großzügige Verstromung von Braunkohle im Zusammenhang mit der Energiewende nicht mehr notwendig sein wird. Es ist nicht akzeptabel, dass Vattenfall in Schweden Energie zu mehr als der Hälfte aus umwelt- und sozialverträglichen alternativen Energiequellen bezieht, andererseits aber in der Lausitz ohne Rücksicht auf Verluste großflächig devastiert.

Der Braunkohleabbau hat schon jetzt aus großen Teilen der deutsch-sorbisch bewohnten Mittellausitzer Heide eine unbewohnte, landschaftlich wertlose Mondlandschaft gemacht. Die Behauptung der “Rekultivierung” und “Renaturierung” ist, wie wir bereits jetzt in den ehemaligen Tagebaugebieten sehen können, eine Illusion. Große Teile der “renaturierten” Landschaft dürfen aufgrund der unsicheren Geländesituation voraussichtlich jahrzehntelang nicht wieder genutzt werden. Für eine weitere Vergrößerung des “Lausitzer Seenlandes” fehlt es schlicht an Wasserressourcen, die Spree, Schöps und Neiße nicht bieten können. An eine Wiederbesiedlung wird aus all diesen Gründen noch nicht einmal gedacht. Zurück bleibt leeres, nutzloses Land.

Auch im Hinblick auf die Belastungsgerechtigkeit ist es nicht vertretbar, für den Energiebedarf der weit entfernten Großstädte und Industriegebiete großflächig Lausitzer Kulturlandschaft zu vernichten. Die sorbischen und deutschen Einwohner der mittleren Lausitz haben im letzten Jahrhundert genügend Opfer für den Energiehunger verschiedener deutscher Staaten gebracht. Eine Beibehaltung dieser Praxis ist nicht mehr zeitgemäß und inakzeptabel.

Mit freundlichen Grüßen,
Julian Nitzsche

Blick über den Tagebau Nochten zum Kraftwerk Boxberg (Julian Nitzsche; CC-BY-SA 3.0)