Montag, 7. Februar 2011

Milena Vettraino im Tagesspiegel: Viel Fantasie, wenig Wahres dran.

Am Sonntag veröffentlichte der Berliner "Tagesspiegel" einen Bericht über Milena Vettraino (Intendantin SNE) und die Sorben in Bautzen. Zunächst einmal lobenswert, dass sich eine große deutsche Zeitung mal wieder des Themas annimmt, was ja nun so häufig nicht vorkommt. Der Artikel ist allerdings gut gefüllt mit einer ganzen Menge Halb- und auch einigen glatten Unwahrheiten, was die Freude empfindlich trübt. Eine Auswahl:

Tagesspiegel: Sie [die sorbische Volksgruppe] wanderte vor über 1400 Jahren aus Böhmen und Schlesien ein, ihre Sprache behielt sie über die Jahrhunderte bei, ebenso ihre Folklore.

Tatsache: Vor 1400 Jahren stimmt. Allerdings klingt es hier so, als seien die Vorfahren der Sorben zuvor in Böhmen und Schlesien heimisch gewesen. Das war nach dem Stand der Forschung nicht der Fall. Richtig ist, dass sie über Böhmen und Schlesien aus dem Osten und Süden einwanderten.

Tagesspiegel: Die politische Bedeutung der westslawischen Volksgruppe ist groß. [...] Nur kulturell wird die Volksgruppe kaum wahrgenommen.

Tatsache: Dem kann man kaum zustimmen. Wenn die Sorben von Nicht-Sorben überhaupt wahrgenommen werden, dann wohl meistens über die Folklore. Osterreiten, Ostereier, Vogelhochzeit, Trachten usw.; das sind die Dinge, die wohl die meisten als erstes nennen würden. Über Sprache und Geschichte wissen dann schon deutlich weniger Bescheid und das die politische Bedeutung "groß" wäre, widerlegt sich von selbst, wenn man sich Ereignisse wie den Streit um die Crostwitzer Mittelschule oder das ständige Gezerre um die Förderhöhe für die Stiftung ansieht.

Tagesspiegel: Es gibt zweisprachige Straßennamen und Behördendokumente in doppelter Ausführung.

Tatsache: Ersteres stimmt wohl, nach zweiterem muss man schon sehr lange suchen. Die wenigsten Gesetze und Behördendokumente existieren in einer amtlichen sorbischen Fassung.

Tagesspiegel: Die 41-Jährige [...] ist die neue Intendantin des Sorbischen Nationalensembles (SNE), eines 100-Leute-Betriebs mit Ballett, Chor und Orchester.

Tatsache: Da hat man wohl die Kündigungswelle, die ja Milena Vettraino gerade umsetzt, schlicht übersehen.

Tagesspiegel: Die Intendantin spricht von einer Mauer zwischen Sorben und Nichtsorben in Bautzen. [...] Am Ende steht man vor dem Dom, in dessen Inneren die Teilung plastisch wird: in Form eines Zauns. [...] Auf der einen Seite beten die Protestanten, auf der anderen die Katholiken, zu Letzteren zählen die meisten Obersorben.

Tatsache: Jetzt wird es langsam absurd. Der Zaun im Dom ist das Relikt der konfessionellen Trennung der Kirche, die seit dem 16. Jahrhundert besteht. Damals waren die meisten Sorben in Bautzen und Umgebung allerdings noch Protestanten. Selbst wenn es stimmt, das die Mehrzahl der Sorben heute katholisch ist, so gehen in den Petridom doch vorwiegend deutsche Katholiken. Die sorbisch-katholische Messe hat ihren Platz in Bautzen nämlich in der Liebfrauenkirche. Also absoluter Unsinn.

Tagesspiegel: Immerhin, denn umgekehrt kommt es für die meisten Lausitzer nicht infrage, Sorbisch zu lernen.

Tatsache: Natürlich enthält der Bericht nicht nur Unwahrheiten. Gut, dass das mal erwähnt wurde.

Tagesspiegel: 81 Zentimeter beträgt die Neigung [des Reichenturms], ein beliebtes Fotomotiv.

Tatsache: Neigung? Normalerweise spricht man hier von der Abweichung vom Lot, die beträgt aber 1,44 m.

Tagesspiegel: Dass Bautzen im Zweiten Weltkrieg nicht wie [...] Dresden in Schutt und Asche gebombt wurde, habe auch daran gelegen, dass die russischen Kriegsgegner die Stadt mit dem slawischen Brudervolk verschonen wollten, erzählt Milena Vettraino.

Tatsache: Meine Güte. So viele Fehler in nur einem Satz. Dresden wurde bekanntlich von Briten und Amerikanern angegriffen, nicht von Russen. Bautzen allerdings wurde Ende April 1945 durch heftige Gefechte zwischen Deutschen und Russen schwer beschädigt, und nicht etwa "verschont". Schließlich hatte man die Stadt noch zur Festung erklärt, als schon alles zu spät war.

Und gleich weiter: Demnach sind sorbische Mütter mit ihren Kindern den russischen Soldaten bei Kriegsende vor der Stadt entgegengekommen, um ihnen die Rachegelüste auszureden.

Tatsache: Es gab tatsächlich sorbische Dörfer, in denen blau-rot-weiße Flaggen gehisst und Schilder aufgestellt wurden, die auf die ansässige slawische Bevölkerung hinwiesen. In vielen Fällen wurden diese Dörfer dann auch tatsächlich verschont. Von Bautzen selbst ist derartiges allerdings nicht bekannt. Und an Mütter, die mit ihren Kindern (!) der anrückenden Roten Armee entgegeneilen, während in der Stadt selbst noch die Wehrmacht sitzt, sollte eigentlich nicht mal der Tagesspiegel glauben.

Dazu heißt es dann auch: Die Legende ist nicht verbürgt, aber die Sorben erzählen sie gerne.

Das kann ich nicht bestätigen. Wenn sie "gerne erzählt" würde, hätte man vermutlich schon mal etwas davon gehört. Das ist nicht der Fall.

Tagesspiegel: Dass es nur noch halb so viele internationale Tourneen geben soll, da seien sowieso nur irgendwelche Kindermusicals gespielt worden.

Tatsache: Es wurde tatsächlich auch das Kindermusical Knax gespielt, das nichts mit sorbischer Kultur zu tun hat. Das aber nur irgendwelche Kindermusicals aufgeführt wurden, ist nichts weiter als eine bösartige Unterstellung, die hoffentlich nicht von Frau Vettraino selbst stammt.

Tagesspiegel: Doch Milena Vettraino hat sich schwere Gegner ausgesucht. Denn Bautzen ist bis heute Synonym für etwas anderes: die Haftanstalt für politische Gefangene der DDR.

Tatsache: Da hat ja wohl das eine absolut gar nichts mit dem anderen zu tun.

Tagesspiegel: Sie [Vettraino] will mehr Deutsche im Theater einstellen...

So? In der Lausitz meint sie immer, das SNE - welches vermutlich mit "Theater" gemeint ist - solle endlich wieder sorbisch werden, nach den langen "deutschen" Rögner-Jahren. Halte nur ich das für einen Widerspruch?

Fazit: Wenn in der überregionalen Presse über uns geschrieben wird, ist das schön und wünschenswert. Wenn die Berichterstattung allerdings einhergeht mit klaren Fehlinformationen, ja sogar mit Unterstellungen, dann können wir uns das Ganze schenken. Wer hier fürchterlich geschlampt hat, kann ich nicht sagen. Einerseits vermutlich der Redakteur des Tagesspiegels. Andererseits sollte man sich so einen Artikel schon noch einmal vor Drucklegung zusenden lassen, gerade wenn man ganz offenbar kontroverse Themen angesprochen hat.

Wenn so etwas am Ende dabei herauskommt, ist Niemandem geholfen.

11 Kommentare:

  1. Das Sorbische National Ensemble hat seit einigen Wochen einen Pressereferenten. Ich hoffe nicht daß er für diesen Unsinn verantwortlich ist...

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  2. Es kann wohl nicht ignorat genug sein gegenüber den bisherigen Leistungen anderer (größtenteils sorbischer) Künstlerkollegen. Frau Vettraino spielt im Tagesspiegel all ihre diesbezügliche "Klasse" aus. Und dazu kommt ihre permanente Selbstüberschätzung! Man beachte: ihre selbst wiederholt angepriesene internationale Karriere war z.B. in Dänemark eine Hornstelle in einem Orchester in Vestjysk, welches sich aus interessierten Amateurmusikern und an verschiedenen Stellen tätigen Berufsmusikern zusammensetzte. Und in den USA war der Orchestergraben mehr ein Wunschdenken.
    Nur gut, dass es für die Zukunft der sorbischen Kultur diese selbsterhöhte Heilsbringerin gibt.
    Ein kreatives, sich gegenseitig förderndes Miteinander von deutschen, sorbischen und aus aller Welt stammenden Künstlern ist eine hervorragende Sache. Aber Vettrainos scheinheilige (vom Spickzettel gelernten) Manifestreden zur Bewahrung der sorbischen Kultur haben damit wenig gemein. Vielleicht sollte sie "ihr" SNE doch schlicht in "Bautzener Volkloreensemble" umbenennen. Das würde ihr viele besorgte Nachfragen nach der sorbischen Identität erübrigen.
    [Frank R.]

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  3. Ich kann den bisherigen Kommentatoren nur zustimmen. Es ist erschreckend, wieviel Inkompetenz und Unkenntnis bei diesem Interview aufeinander trafen. Und besonders schlimm finde ich, dass die Intendantin den Streit unter den sorbischen Kulturinstitutionen betreibt. Sie spricht mit keinem (außer mit der Presse), und wenn doch, dann nur über sich. Und umnebelt vom Bewusstsein der eigenen Bedeutung - selbsternannte Heilsbrigenerin ist das richtige Wort - zerschlägt sie jede Menge Porzellan - wie das berühmte Tier mit dem Rüssel.

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  4. Njedyrbjeli (hišće?) amtěrowacu intendantku serbskeje kultury skřiwdźić abo přežadać abo samo na jeje njezamóžnosćach měrić.
    Nam Serbam pak je na njedobro, zo maja kritiske komentary w blogach tola tak prawje!

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  5. Intendantka "serbskeje kultury"???? Cyleje serbskeje kultury??? Zo so knjeni V. tak widzi,to mozes z toho artikla wucitac. Ale (hisce) je wona intendantka SLA!!!!

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  6. Ich finde, dass es nicht "den Sorben" schadet, wenn die Intendantin des SLA sich in einem Blog Vorwürfe gefallen lassen muss, weil sie ein dämliches (Sorry!)Interview gegeben hat. Wer sich derart in der Öffentlichkeit exponiert, der muss sich auch Kritik anhören.Inhaltlich ist das Interview doch die glatte Nullnummer. Nichts konkretes, kein künstlerisches Profil für das SLA erkennbar (Wo ja immerhin schon einige Künstler von Frau V. auf die Straße gesetzt wurden)Nur historisch nicht haltbares Zeug,und viel Blablabla und ne Olivenplantage ... intendantka serbskeje kultury"(Intendantin der sorbischen Kultur)- das fehlte noch, dann Gute Nacht sorb. Kultur- Dobru nóc, serbksa kultura!

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  7. Es war ja auch nicht gesagt, dass die Vorwürfe "uns Sorben" (wer seid eigentlich "ihr"?) schaden, sondern die Tatsache, dass die Vorwürfe berechtigt sind. Und das trifft auf die Außenwirkung vermutlich sogar zu.

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  8. Verehrte Frau Vettraino, etliche schauen zu Ihnen 'hoch' und möchten ihnen zurufen: Die Intendanz einer der wichtigsten (sorbischen?) Einrichtungen ist verbunden mit künstlerischem Einfühlungsvermögen, Sachverstand, Kreativität und Weitsicht, ehrlicher Verbundenheit mit der Basis (des sorbischen Volkes und der ganzen Region), Demut vor den Leistungen anderer und viel, viel Ahnung in organisatorischen und wirtschaftlichen Entscheidungen - und nicht vorrangig mit einem (gutbezahlten) Posten.

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  9. Schöner Kommentar!

    81 Zentimeter - wie lächerlich ... da hat sich der liebe Herr Trappe leider keinen Gefallen getan. Riesa liegt ihm wahrscheinlich besser.

    Wenn wir aber schon mal beim Richtigstellen sind: die Deutschen haben in Bautzen nicht gegen Russen, sondern gegen Polen (2. Polnische Armee) gekämpft.

    Viele Grüße

    Ves'

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  10. hallo
    ich bin ein serbe, und hätte eine oder auch zwei fragen
    1. warum ist einn roter stern in der sorbischen fahne??
    2.
    haben die sorben was mit uns serben gemeinsam
    oder nicht.
    und nicht nur das das wir slawen sind???

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  11. Zdravo. 1. Die sorbische Fahne hat eigentlich keinen roten Stern. 2. Aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsame Vorfahren, mehr nicht.

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