Dass die neue Intendantin einen aus welchen Gründen auch immer unliebsamen Mitarbeiter offenbar auf diese Weise loswerden will, soll uns hier zunächst nicht weiter interessieren. Spannend wird die Geschichte ja erst, als Měto Benad sich gegen seine “Verbannung” nach Cottbus wehrt und den gerichtlichen Weg beschreitet. Seine Argumentation ist natürlich nicht, dass er keine Lust hat, allein in Cottbus zu arbeiten – was menschlich verständlich, aber rechtlich vermutlich nicht ausreichend wäre. Nein, er verweist sinngemäß darauf, dass in der Niederlausitz – wie allgemein bekannt – eine andere sorbische Sprache in Gebrauch sei, die er nicht beherrsche. Chapeau, möchte man meinen.
Doch hier tritt die geballte frische Gestaltungskraft des “neuen” SNE in den Ring. In der Erwiderung der vom Ensemble beauftragten Kanzlei Rosenberger & Koch wird das linguistische Argument mit einem Handstreich in der Luft zerfetzt. So heißt es dort: “Es ist gerichtsbekannt, dass ein Oberfranke im unterfränkischen Bereich, im oberbayerischen Bereich ebenso tätig sein kann, wie ein Chemnitzer in Dresden und umgekehrt.” Vom seltsamen Satzbau abgesehen, ist das auch inhaltlich gar kein großes Wunder. Schließlich sind Ostfränkisch (nicht “Ober”), Nordbairisch (mit “i” und ohne "e") und Mittelbairisch Dialekte, die derselben Standardsprache untergeordnet sind – nämlich dem Deutschen. Ebenso verhält es sich mit den Chemnitzern und Dresdnern, die zudem auch noch denselben Dialekt nutzen – nämlich das Obersächsische bzw. Meißnische.
Von der fehlenden Sinnhaftigkeit des ersten Satzes unbeeindruckt, fährt die Kanzlei folgenschwer fort und stellt fest: “Nicht anders verhält es sich mit dem obersorbischen und niedersorbischen Dialekt.”
Dialektale Beschriftung am Cottbusser Bahnhof (Bild: Mariusz Paździora, CC BY-SA 3.0)
Lieber Rosenberger, lieber Koch und liebe Frau Vettraino: Diese beiden “Dialekte” existieren ebensowenig wie “Ober-“ und “Unterfränkisch”. Ja, es gibt einen katholischen, einen Bautzener, einen Schleifer, und einen Cottbusser Dialekt. Ober- und Niedersorbisch dagegen sind zwei voneinander unabhängige Standardsprachen, die sich in Wort und Schrift teils erheblich unterscheiden. Mit einer linguistisch völlig fehlerhaften Bezeichnung dieser Sprachen als “Dialekte” betreibt die Gralshüterin der sorbischen Identität folglich nur eines: Die Abschaffung des Niedersorbischen. Und beschert uns damit auf einen Schlag ein paar Probleme weniger.
Anmerkung: Passender wäre an dieser Stelle der Vergleich Deutsch-Niederländisch gewesen, allerdings hätte dieser blöderweise der Argumentation des Ensembles völlig widersprochen. Einen anderen Ausweg böte die Versetzung des Mitarbeiters nach Wrocław oder Prag, wo er mithilfe der dortigen Dialekte hervorragend tätig werden könnte.
Man mag von der Vorgehensweise des Ensembles und seiner Kanzlei halten, was man will. Neidlos anerkennen muss man eines: Geschäftsführerin und Stiftungsrätin für das sorbische Volk Milena Vettraino hat etwas geschafft, was zuvor niemandem gelingen wollte. Sie hat mit ihrer revolutionären Erkenntnis einen konkreten Weg für künftige Einsparungen vorgezeichnet. Denn wenn sich das Sorbische Institut von nun an nur noch um eine, statt um zwei Sprachen kümmern muss, ist eine Einsparung von 25 % natürlich vollkommen gerechtfertigt. Und auch das Deutsch-Sorbische Volkstheater sollte mit der angedachten Kürzung von 200.000 Euro gut leben können, schließlich kann es auf Puppentheater im niedersorbischen Dialekt nun getrost verzichten. Ebenso überflüssig erscheint bei genauerer Betrachtung die weitere Herausgabe des Nowy Casnik, niedersorbischer Lehrbücher und der Weiterbetrieb des Cottbusser RBB-Studios.
Die auf diese Art und Weise eingesparten Gelder könnten dann vollständig in das rasch zu schaffende “Haus der sorbischen Sprache” weitergeleitet werden. Dieses muss sich von nun an schließlich um die Schaffung der neuen sorbischen Einheitssprache kümmern, Wörterbücher, Grammatiken und Lehrmaterialien erstellen und diese unter die Leute bringen. Und so hätten wir endlich auch dafür eine sinnstiftende Aufgabe gefunden. Das sorbische Volk ist seinem Ensemble zu unendlichem Dank verpflichtet.