Donnerstag, 8. Februar 2018

Dokumentiert: Ein Satz im Koalitionsvertrag

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018:

Wir bekennen uns zum Schutz und zur Förderung der vier nationalen Minderheiten in Deutschland – Dänen, Sorben, Friesen sowie Sinti und Roma.

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013:

Wir stehen zu den eingegangenen Vereinbarungen europäischer Minderheitenpolitik und verpflichten uns weiterhin zur Förderung der vier nationalen Minderheiten in Deutschland – Dänen, Sorben, Friesen sowie deutsche Sinti und Roma – und der deutschen Minderheit in Dänemark sowie den deutschen Minderheiten in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Die sorbische Sprache und Kultur als Ausdruck der Identität des sorbischen Volkes gilt es zu bewahren. Daher wollen wir die Arbeit der Stiftung für das sorbische Volk langfristig sicherstellen und dafür den Bundeszuschuss sichern.


Zum Vergleich die drei (!) Absätze im aktuellen Koalitionsvertrag, die sich auf deutsche Minderheiten im Ausland beziehen (also Menschen, die von dieser Regierung überhaupt nicht regiert werden):

Wir bekennen uns weiterhin zur besonderen Verpflichtung gegenüber den Deutschen in Mittelosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als Aussiedler unSpätaussiedler zu uns kamen oder als deutsche Minderheiten in den Herkunftsgebieten leben. Wir wollen die nationalen Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten in Dänemark, in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weiter fördern. Wir wollen die Maßnahmen zum Erhalt des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen, der Aussiedler und der deutschen Minderheiten unter ihrer Einbeziehung gegebenenfalls auch strukturell weiterentwickeln. (ab Zeile 6340)

Die deutschen Volksgruppen und Minderheiten sind Teil unserer kulturellen und historischen Identität, bereichern die kulturelle Vielfalt in ihren Ländern und stellen ein wichtiges Band der Verbindung zwischen  Deutschland und seinen Partnerländern dar. Wir wollen sie weiter fördern und unterstützen. (ab Zeile 7363)

Das kulturelle Erbe der Deutschen in Mittel- und Osteuropa und das Kulturgut der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler sind wichtige Bestandteile der kulturellen Identität Deutschlands. Wir wollen die im Sinne des §96 des Bundesvertriebenengesetzes tätigen Einrichtungen gemeinsam mit den Heimatvertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten als Träger dieses Erbes sowie im Sinne der europäischen Verständigung für die Zukunft ertüchtigen und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen stärken. (ab Zeile 8107)

Freitag, 12. Januar 2018

Sorben und Sachsen – warum das kein Gegensatz ist


Dass in Sachsen Sorben leben, ist kein großes Geheimnis. Dass einer von ihnen die letzten Jahre Ministerpräsident des Freistaates war, ebenfalls nicht. Die aktuelle Debatte um die – auf vielen Ebenen unhaltbare – Aussage eines sächsischen Dorfbürgermeisters, Michael Kretschmer sei „der erste sächsische Ministerpräsident“ (nach zweien „aus den westlichen Bundesländern […] und einem Sorben“; sh. hier, ab 40:13) zeigt allerdings wieder einmal bedenkliche Bewusstseinslücken, was die Rolle der Sorben in Sachsen anbelangt – und zwar sowohl bei jenen, die diesem Unsinn nicht widersprechen und nicht widersprochen haben, als auch bei manchen, die Kretschmer und den MDR nun für ihre fehlende Intervention an jener Stelle kritisieren.
Stanislaw Tillich (CDU, CC-BY-SA 3.0)

Stanislaw Tillich, kein Sachse also. Wie denn auch, mit einem solchen Namen?¹ Gerade ihm, dem doch seine Partei als erstem in Sachsen geborenen² Ministerpräsidenten nach der Wende sogar den markigen Plakatspruch „Der Sachse“ verliehen hatte und der immerhin neun Jahre dem Freistaat vorstand, wird in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – unwidersprochen – ganz nebenbei die sächsische Bürgerschaft entzogen. Ausgestoßen. Ein Fremder, keiner „von uns“. Diese Ausgrenzung stieß – leicht verspätet – auf medialen Rückhall, in den deutschen Medien erst einige Wochen nach besagter Sendung und nachdem der ehemalige Domowina-Vorsitzende Jan Nuk sie in Serbske Nowiny thematisiert und der Arzberger Bürgermeister sich in eben jener Zeitung entschuldigt hatte, er habe es „nicht so gemeint“.

Unmöglich ist die Bemerkung nicht nur, weil sie einen Teil der angestammten Bevölkerung des Freistaates – und zufällig jenen mit nicht-deutscher Muttersprache – einfach mal so „ausbürgert“, womit insbesondere Deutsche vor dem Hintergrund ihrer Geschichte sehr vorsichtig sein sollten. Unmöglich ist sie auch, weil „Sachse“ und „Sorbe“ schlicht keine Gegensätze sein können. Es handelt sich um grundverschiedene Kategorien, wobei eine die territoriale Herkunft, die andere die ethnische Zugehörigkeit beschreibt. Sachse ist, wer auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen ansässig ist. Ob er zuhause Deutsch, „Sächsisch“³ oder eben Sorbisch spricht, ist dafür völlig egal.

Wer ist Sachse?
Laut Sächsischer Verfassung, Artikel 5, gehören „dem Volk des Freistaates Sachsen […] Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an.“ Die Verfassung meint hier Deutsche und Sorben im ethnischen Sinne, denn „Deutsche im Sinne des Grundgesetzes“, also deutsche Staatsbürger, sind Sorben selbstverständlich auch. Und sie schreibt bewusst „Deutsche und Sorben“, nicht etwa Sachsen. Das tut sie aus einem ganz einfachen Grund: Eine Ethnie der „Sachsen“ gibt es nicht (mehr) – und gab es auf dem Territorium des heutigen Freistaats auch nie, ebensowenig wie eine „Sächsische Sprache“. Der germanische Stammesbund der Sachsen lebte historisch zwischen der heutigen niederländischen Grenze im Westen und der unteren Elbe im Osten (also im heutigen Niedersachsen), wo seine Nachbarn slawische Stämme waren, die eine dem Sorbischen eng verwandte Sprache verwendeten. Die heutigen „Sachsen“ dagegen stammen nicht von jenem Volk ab, sondern zum Teil von fränkischen und thüringischen Kolonisten, die ab dem 12. Jahrhundert in die sorbisch besiedelten Gebiete zwischen Saale und Neiße einwanderten, zum Teil von späteren Einwanderern (u.a. hunderttausenden Umsiedlern aus Schlesien) und – zum großen Teil, wie man u.a. an ihren Familiennamen erkennen kann – eben von der sorbischen Vorbevölkerung. Da sich diese Linien über die Jahrhunderte selbstverständlich vermischten, trifft auf die meisten Sachsen wohl alles davon zu. Nicht auszuschließen ist, dass einige Sachsen sogar tatsächlich ethnisch sächsische Vorfahren haben – die Regel dürfte es nicht sein.
Sorben – irgendwie anders (Buchempfehlung: Elka Tschernokoschewa, Das Reine und das Vermischte. Die deutschsprachige Presse über Andere und Anderssein am Beispiel der Sorben. Waxmann, 2000.)
Sorben – Fremd und anders?
Verschiedentlich wurde der Nebensatz des Arzberger Bürgermeisters (in dessen Gemeinde  Orte so wunderbare Namen tragen wie Kaucklitz, Köllitsch und Triestewitz) in den letzten Tagen auch in deutschen Medien aufgegriffen und thematisiert. Die Ausgrenzung Tillichs, sein Herauswurf aus dem (nicht existenten) „sächsischen Volk“, wurde dabei auch in Zusammenhang gebracht mit dem in Sachsen stärker als anderswo verbreiteten „Fremdenhass“, der sich nun schon gegen die „eigene Minderheit“ richte, also gegen alles „Andere“ im Freistaat. Das Problem an dieser Stelle ist nur Folgendes: Wir Sorben sind in Sachsen weder „fremd“, noch „anders“. Wir sind Einheimische, deren Vorfahren dieses Land vor mehr als 1300 Jahren besiedelt haben.

Stanislaw Tillich – dem mancher es wohl übel nahm, dass er seine sorbische Muttersprache nicht verleugnete – sagte einmal, man könne darüber debattieren, wer „zuerst hier war“ – Sorben oder Deutsche. Nein, kann man nicht. Vor der Einwanderung besagter Kolonisten ab dem 12. Jahrhundert sprachen die Einwohner des heutigen Sachsens – Milzener, Daleminzier, Besunzane und ihre verwandten Stämme, die an Neiße, Spree, Elbe und Mulde lebten – kein „Deutsch“ (und erst recht kein „Sächsisch“), sondern verschiedene slawische Mundarten der sorbischen Gruppe. Und natürlich nannten sie sich auch nicht „Sachsen“, sondern höchstwahrscheinlich „Sarby“, „Serby“ oder „Sorby“. Als slawischsprachige Sorben erhalten geblieben sind einzig einige Nachfahren der Milzener in der Ober- und der Lusitzer in der Niederlausitz. Was aber geschah mit dem Rest? Wo sind die Nachfahren der Daleminzier und Besunzane?

Wer war eher da?
Nahezu das gesamte Territorium des heutigen Freistaats – abgesehen von den gebirgigen Regionen am Südrand – hat (auch) eine sorbische Geschichte. Nur ist sie in den meisten Gegenden eben schon etwas länger her als in der Lausitz, wo es noch vor 130 Jahren Orte gab, in denen die wenigsten Bewohner Deutsch beherrschten. Dass Orte in Sachsen aus dem Sorbischen stammende Namen wie Dresden („Auenbewohner“), Leipzig („Lindenort“), Chemnitz („Steinbach“) oder Oelsnitz („Erlenbach“) tragen, ist schließlich kein Zufall. Es liegt schlicht daran, dass die meisten sächsischen Städte sich aus sorbischen Dörfern entwickelten. Aus dem selben Grund sind slawischstämmige Familiennamen wie Noack, Pietsch oder eben auch Kretschmer in ganz Sachsen verbreitet.

Nun sind die Sorben von Leipzig, Dresden und Chemnitz nicht einfach verschwunden, sie wurden nicht vertrieben und auch nicht ethnisch gesäubert und durch Deutsche ersetzt. Nein, sie haben schlicht im Laufe der letzten acht Jahrhunderte ihre sorbische Sprache abgelegt und wurden zu Deutschen. Ja, ethnische Zugehörigkeit und Muttersprache lassen sich wechseln – zugegeben ebenfalls eine Binsenweisheit, die heutzutage nicht sonderlich populär ist. Aus Sorben können Deutsche werden – und umgekehrt, wofür es in der Lausitz einige Beispiele gibt. Wie dieser Prozess abläuft, lässt sich bei uns rund um Bautzen bis heute beobachten. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bevölkerungsmehrheit in Orten wie Malschwitz oder Guttau sorbischsprachig und es gab eine Reihe sorbischer Vereine, die in diesen Orten wirkten. Heute leben dort nur noch ein paar einzelne Sorben, aber das heißt nicht, dass die anderen verschwunden wären. Nein, sie sind schlicht die Vorfahren der heutigen Bewohner, freilich mit der Ausnahme jener Familien, die nach 1945 aus Schlesien zuwanderten oder noch später aus anderen Gegenden hinzukamen.

Das zeigt gleichermaßen, dass die Debatte darüber, wer „eher da war“, einigermaßen sinnlos ist. Wir können anhand der Siedlungsgeschichte zweifelsfrei feststellen, dass zuerst Sorbisch und erst später Deutsch gesprochen wurde. In einigen Lausitzer Dörfern hielt das Deutsche erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Einzug.

Die Frage, wer „Erster“ war, ist jedoch auch generell irreführend, eben weil die Mehrheit der heutigen „Sachsen“ über kurz oder lang zumindest zum Teil von der sorbischsprachigen Vorbevölkerung abstammt, auch wenn das den meisten nicht bewusst sein mag – übrigens auch vielen Sorben nicht. An diesem Punkt führt selbst die sächsische Verfassung in die Irre, die die Existenz zweier voneinander getrennter Staatsvölker in Sachsen nahelegt. Tatsächlich ist natürlich sowohl der Wechsel von der einen in die andere Gruppe als auch eine doppelte Identifizierung ohne Weiteres möglich. Um die Perspektive zu wechseln, könnte man daher auch von einem einheitlichen „sächsischen Staatsvolk“ sprechen, dessen kleinerer Teil bis heute Sorbisch spricht, während der größere Teil die Sprache irgendwann im Laufe der letzten 45 Generationen gewechselt hat.

Bewusstseinslücken

Ein großes Problem bleibt, dass dieser sorbische Teil der sächsischen Geschichte den wenigsten im Freistaat überhaupt bekannt ist. Als Sorben kennen sie jenes bunt gekleidete Völkchen zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda, dass zu Ostern durch die Gegend reitet und Eier bemalt. Dass diese Leute und ihre „fremde“ Sprache irgendetwas mit ihnen, ihrer Heimat und ihrer Familiengeschichte zu tun haben könnten, kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn. Leider beschränkt sich schon der Heimatkundeunterricht, und zwar nicht nur außerhalb der Lausitz, auf eben genau dieses Sorbenbild, anstatt zu erwähnen, aus welcher Sprache die Namen beinahe aller größeren sächsischen Städte und ein Großteil der Familiennamen der „Sachsen“ stammen. Und die Tatsache, dass sich der MDR mit einer halben Stunde sorbischen Fernsehens monatlich (!) begnügt, während es in Österreich immerhin für ein halbstündiges Magazin in der Woche auf Slowenisch und Burgenlandkroatisch reicht, macht das Ganze nicht besser. Projekte wie der erst kürzlich erschienene Film „Die Slawen – unsere geheimnisvollen Vorfahren sind ein guter Ansatz, das zu ändern, auch wenn rätselhaft bleibt, warum die interviewten sorbischen Wissenschaftler nur in der sorbischsprachigen Version des Films, nicht jedoch in der deutschen zu Wort kommen. Vielleicht würde ja ein größeres Bewusstsein über die slawischen Wurzeln dieses Landes sogar der einen oder anderen leidigen Debatte um finanzielle Mittel für den Erhalt und die Entwicklung sorbischer Sprache und Kultur einen anderen Ton – und eine andere Wichtigkeit – verleihen.


Sorbische Sprache und Kultur sind untrennbar mit Sachsen verbunden und haben dessen Geschichte und seine Bewohner über lange Zeit mitgeprägt – in der Lausitz bis heute. Dass man diesen Teil der eigenen Identität, die doch besonders in Sachsen gerne hochgehalten wird, des Öfteren vergisst, in schlimmeren Fällen gar verleugnet, ist erstaunlich in einem Land, dass oft (zu oft?) darauf bedacht ist, seine Eigenheiten zu bewahren. Dass zu diesen Eigenheiten auch der Umstand zählt, dass der Großteil Sachsens und seiner Bevölkerung eben nicht nur eine „deutsche“ Geschichte hat, gehört allen Sachsen ins Stammbuch geschrieben. Vielleicht lassen sich dann ja auch einige andere Probleme etwas entspannter angehen.


Update: Michael Kretschmer hat nach einem Treffen mit sorbischen Vertretern am 25. Januar (Vogelhochzeit) dann doch noch einmal klargestellt, dass die Sorben zu Sachsen gehören:

 https://twitter.com/MPKretschmer/status/956459126627885056




1: Darauf zielte auch der in Sachsen und insbesondere beim MDR-Publikum äußerst populäre Kabarettist Uwe Steimle mit seiner Nebenbemerkung in der WDR-Sendung „Mitternachtsspitzen“ vom 23. Mai 2015, wo er nicht nur antisemitische Stereotypen bediente, sondern Tillich auch als „unseren sorbischen Ministerpräsidenten“ bezeichnete und höhnisch ergänzte: „Das hört man ja, Stanisław, das ist ein deutscher Name.“ (sh. hier, ab 05:20) Diesen "Witz" erzählt Steimle im Übrigen schon seit einer Weile.

2: Und zwar in Neudörfel/Nowa Wjeska im heutigen Landkreis Bautzen, einem Ort, der bis heute mehrheitlich sorbischsprachig ist.
3: Die Anführungszeichen beziehen sich darauf, dass im linguistischen Sinne kein Mensch in Sachsen die (ausgestorbene) Sächsische Sprache spricht.
4: Freilich sind nicht alle Sorben gleichzeitig Sachsen, sondern manche – nämlich jene in der Niederlausitz – stattdessen Brandenburger. Komischerweise hat man noch nie gehört, dass ihnen diesen Status irgendwer im nördlichen Nachbarland hätte aberkennen wollen. Zugleich würde auch kein Mensch auf die Idee kommen, von der Existenz einer „brandenburgischen Ethnie“ zu fabulieren. 
Des weiteren fühlen sich längst nicht alle sächsischen Sorben auch als „Sachsen“, wie u.a. eine Untersuchung von Leoš Šatava zu Sprachverhalten und ethnischer Identität bei sorbischen Schülern zeigte. Das jedoch ist eine individuelle Entscheidung, die noch lange niemanden berechtigt, uns im eigenen Land mal eben zu „Fremden“ zu erklären.
5: Hervorhebung im Titel durch mich.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Aus längst vergangenen Zeiten






Ja, diese Sorben sind schon ein putziges Völkchen. Wenn sie sich nur nicht immer überall breitmachen würden.

Mittwoch, 13. Mai 2015


16.05.15 // 20h // Kamjentny dom (Steinhaus) Budyšin // Zastup: 10/7 eurow

Samstag, 28. März 2015

Das Tausendjährige Miteinander

Anmerkung: Nachfolgender Text ist undifferenziert und polemisch. Wie immer ist die ganze Geschichte deutlich facettenreicher als hier dargestellt. Die Zuspitzung dient hier einzig und allein der Entlarvung einer sinnentleerten Phrase.

Schon seit Monaten wird nun auch in deutschen Medien über mutmaßlich rechtsextrem motivierte Angriffe gegenüber Sorben berichtet, die im Jahr 2014 mit der physischen Bedrohung sorbischer Jugendlicher auf sorbischen Dörfern – also zuhause – eine gewisse neue Dimension erhielt. Pünktlich zur Hauptversammlung der Domowina widmet sich die FAZ noch einmal demselben Thema. Der Anlass ist wohl, dass erste Verdächtige gefasst wurden. Was ja ein gutes Zeichen wäre. Dazu gibt es ein paar O-Töne von Diana Pawlikowa, Jan Nuk, David Statnik, Alfons Ryćer und Stanisław Tillich. Wobei mir nicht einleuchtet, was letzterer mit sorbischer Politik zu tun haben soll (sh. Vattenfall), aber das spielt hier keine Rolle.

Obwohl der Worte über 15 Trottel, die aus Blödheit und Langeweile auf die Idee kamen, Sorben klatschen zu fahren, eigentlich genug gewechselt waren, hält der Artikel noch ein paar interessante Anmerkungen bereit. So betont Diana Pawlikowa, dass die Leute in Panschwitz sich eigentlich zuvorderst als Panschwitzer sehen, und dann vielleicht als Sorben bzw. Deutsche. Ein sympathischer Gedanke, der einem aus dem ehemaligen Jugoslawien bekannt vorkommt. Alfons Ryćer meint: „Wenn ich mich am Telefon auf Sorbisch melde, fällt schon mal der Satz: ‚Wir sind doch hier in Deutschland!‘“ Warum der "Jugendfreund von Tillich" (so im Artikel) dann unlängst ausgerechnet der AfD beitreten musste, also einer Partei, die gemeinhin besonderen Wert darauf legt, dass "wir hier in Deutschland" seien, bleibt wohl sein Geheimnis. David Statnik betont, dass die Lausitz ein "gemeinsamer Schicksalsraum" von Sorben und Deutschen sei, den man auch gemeinsam schützen müsse und kommt damit der Herausforderung dieser Zeit, nämlich zu verbinden statt zu trennen, ziemlich nahe.

Den Vogel abgeschossen hat allerdings Stanisław Tillich, der einmal mehr die Sonntagsphrase vom vorgeblichen "1000-jährigen friedlichen Miteinander" von Sorben und Deutschen ins Feld führt. Abgesehen davon, dass tausend Jahre in Deutschland – wie auch in diesem Fall – bekanntlich sehr kurz sein können, trägt diese leider vielbenutzte Wendung kaum dazu bei, das Problem zu verstehen. Wer nach dem "friedlichen Miteinander" googelt, wird feststellen, dass von ihm meist die Rede ist, wenn es entweder nicht existiert oder zumindest arg bedroht ist. Ob zweiteres in der Lausitz der Fall ist, kann man diskutieren, mich interessiert aber ersteres.

Was Tillich – und jeder andere, der dieses rhetorische Muster bemüht – in seiner Sonntagsrede (bewusst?) unterschlägt, ist zum Ersten, dass es "Deutsche" im Sinne von ethnisch und/oder sprachlich Deutschen in den meisten sorbischen Dörfern erst seit reichlich 100 Jahren gibt, von einem "Miteinander" vor dem 19. Jahrhundert also praktisch von vornherein keine Rede sein kann. Es bestand wohl auch keine grundsätzliche Feindschaft; vielmehr war es vermutlich so, dass die meisten Sorben einfach keine Deutschen kannten, mit einigen Ausnahmen natürlich: Gutsherr, in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Soldaten, gelegentlich Dorflehrer und später je nach Region Landvermesser oder Industrielle. Ersteren war der sorbische Bauer verpflichtet und musste ihnen dienen, die zweiteren musste er bei sich einquartieren, der Lehrer (oft genug auch selbst ein Sorbe) schlug seine Kinder mit dem Rohrstock, wenn sie die falsche Sprache benutzten und letztere gaben ihm zwar einen besseren Verdienst, baggerten dafür allerdings auch sein Dorf ab. Ob man das nach heutigen Maßstäben als "friedliches Miteinander" bezeichnen sollte, ist zumindest fraglich. In den meisten Fällen gab es einfach kein Miteinander, schon gar nicht "seit 1000 Jahren".

Soviel also zu den persönlichen Beziehungen, die zwischen "Sorben" und "Deutschen" (die sich unter diesen Namen auch noch nicht seit 1000 Jahren unterscheiden lassen) so bestanden. Interessanter ist aber noch ein zweiter Punkt: Dort, wo der sorbische Bauer noch am ehesten mit dem "Deutschen" in Kontakt kam, handelte es sich in der Regel um eine eher unpersönliche Beziehung zur deutsch(sprachig)en Obrigkeit, zum deutschen Staat. Schauen wir uns diese Beziehung etwas näher an, müssen wir allerdings feststellen, dass jenes "friedliche Miteinander" in den ersten 900 Jahren überwiegend aus Sprachverboten in Gerichten, Zünften, Schulen und Kirchen, aktiver Germanisierungspolitik und – zum dicken Ende hin – zeitweise handfester politischer Verfolgung durch verschiedene deutsche Staaten bestand. 

Beispiele für Sprachverbote kennen wir aus Leipzig, Altenburg und anderen früher sorbischen Gebieten bereits aus dem 14. Jahrhundert. Beispiele für einsprachig sorbische Dörfer, in denen auf Beschluss z.B. des Lübbener Konsistoriums der sorbische Gottesdienst durch deutschen ersetzt wurde, ebenfalls. Die Kinder, denen ihre Sprache vom Lehrer unter Einsatz der Prügelstrafe verboten wurde, fanden bereits Erwähnung. Weitere bedauerliche Einzelfälle finden sich u.a. bei Měrćin Wałda, der sich wiederum zu großen Teilen auf die Beschreibungen von Arnošt Muka (dort auf Sorbisch) aus den 1870er Jahren beruft. Lassen wir die unzähligen Bauernaufstände und die Tatsache, dass es tatsächlich slawische Stämme gab, die sich gegen ihre Einbeziehung in das Heilige Römische Reich wehrten, hier aus Zeitgründen einfach mal weg. Es ist auch so erkennbar, dass die Geschichte des "Tausendjährigen friedlichen Miteinanders" eine ziemlich asymmetrische ist, und wenn sie "friedlich" war, dann wohl oft nur, weil der Bauer keine Waffen hatte. Oder weil sich einfach keiner für die Sorben interessierte, da hinten in ihrer Lausitz.

Nun könnte man darüber natürlich reden. Gerade heute, seit ein paar Jahrzehnten, gibt es ja tatsächlich so etwas wie ein "Miteinander", manchmal sogar auf Augenhöhe. Man kann aber auch monatelang über 15 Nazitrottel reden. Letzteres ist einfacher. Klar ist, dass offensichtlich ethnisch motivierte Anfeindungen konsequent verfolgt und bestraft werden müssen. Aber die Frage, woher dieser Hass so "plötzlich" kommt, sollte doch naheliegen. Nicht, dass der am Ende etwas mit dem "Miteinander" zu tun hat? Nicht, dass Sorbenfeindlichkeit und genereller Hass gegen Leute, die anders sprechen, aussehen oder glauben, am Ende gut gehegte Traditionen sind, die es zu bekämpfen gilt? Man kann gegen solche Dinge angehen, auch wenn es mühsam ist und oft genug nicht zum Erfolg führen wird. Man kann sich aber auch zurücklehnen und vom "friedlichen Miteinander" schwafeln, das es niemals gab.


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